Hinter Stacheldraht in Wickrathberg

Hinter Stacheldraht in Wickrathberg

Auf einer Ackerfläche zwischen Wickrathberg, Hochneukirch und Goerdshof waren von April bis September 1945 bis zu 150 000 deutsche Soldaten unter freiem Himmel hinter Stacheldraht eingepfercht. Nach offiziellen Angaben überlebten 222 Menschen die Qualen im Lager nicht.

Ein „Ehemaliger“ berichtet von der Hölle in Wickrathberg.

. Willibald Smid (89) war einer der Kriegsgefangenen, die vor 70 Jahren in Wickrathberg die grauenvollste Zeit ihres Lebens durchmachten, in der ständigen Angst, die Gefangenschaft auf der nassen eiskalten Erde nicht zu überleben. In der vergangenen Woche erzählte Smid dem Stadt Spiegel von seinen letzten Kriegsmonaten.

Im März 1945 sei er als 18-Jähriger mit zwei Kameraden in Weimar in amerikanische Kriegsgefangenschaft gekommen, beginnt Smid seine persönliche Leidensgeschichte. Zuvor sei er in Dresden eingesetzt gewesen. Nach dem entsetzlichen Bombenangriff im Februar habe er dort mithelfen müssen, die verkohlten Leichen zu bergen. „Was ich da zu sehen bekam, war so abscheulich, das will ich gar nicht erzählen“, sagt er. „Von Weimar aus bin ich in der Nacht mit weiteren Gefangenen auf der Ladefläche eines LKW nach Bad Kreuznach transportiert worden. Über die Ladefläche war ein Netz gespannt, damit wir nicht fliehen konnten, es gab weder zu essen noch zu trinken“, erinnert er sich, „sanitäre Möglichkeiten gab es natürlich auch nicht“, fügt er hinzu. „In Bad Kreuznach wurden wir auf offenem Feld abgeladen; vor unseren Augen wurde um das Gelände eine unüberwindbare Wand aus Stacheldraht gezogen.“

Durch Zufall traf Smid unter den Gefangenen zwei Bekannte aus seiner Heimatstadt Mönchengladbach. „Nach vier Wochen wurden wir auf Viehwaggons nach Wickrathberg abtransportiert“, erzählt er. „Am Wickrather Bahnhof mussten wir raus, anschließend ging es schwer bewacht zu Fuß in Kolonnen bis ins Lager.“ Unerträglich kalt sei es gewesen, so Smid. Dass der April 1945 der kälteste April seit Jahrzehnten war, wusste er damals nicht, aber er spürte es. „Ich hatte nur meine Uniform an, keinen weiteren Schutz. Wir buddelten mit bloßen Händen Erdlöcher und legten uns mit mehreren Gefangenen nebeneinander, um uns durch unsere Körpertemperatur gegenseitig zu wärmen“, sagt er.

Seine Gruppe habe er nie verlassen, aus Angst, seine Kameraden und sein Erdloch zu verlieren in dem riesigen unübersichtlichen Lager, erklärt Smid. „Ich war ständig wie im Tran und entsetzlich schlapp; es gab ja kaum was zu essen“, fährt er fort. „Bei der Brotverteilung bekam man gerade mal eine Scheibe“, erinnert er sich. „Und wer eine Kante erwischte, hatte Glück; darauf konnte man länger kauen und hatte das Gefühl, mehr gegessen zu haben.“ Einmal sei er in seiner Erdhöhle eingeschlafen, erinnert er sich. „Da war meine gut gehütete Brotration gestohlen worden; ich weinte bitterlich und war fest überzeugt, vor Hunger sterben zu müssen.“ Am 9. Juni 1945 wurde Smid aus der Kriegsgefangenschaft in Wickrathberg nach Hause entlassen; acht Tage zuvor war er 19 geworden.

Name wurde auf Wunsch des Betroffenen von der Redaktion geändert

(StadtSpiegel)