Das steinlose Bild trügt

Das steinlose Bild trügt

Seit anderthalb Jahren arbeiten Mitarbeiter der Außenstelle Titz des Amtes für Bodendenkmalpflege des Landschaftsverbandes Rheinland an Ausgrabungen in einem Acker im künftigen Tagebau-Abraumgebiet bei Borschemich.

Das Team um Ausgrabungsleiter Dr. Alfred Schuler hat nun ein römisches Landgut aus dem frühen 2. Jahrhundert — "villa rustica" — nachgewiesen und eine außergewöhnliche Familiengrabstätte entdeckt.

"Wir begleiten von der Außenstelle Titz aus die Tagebaue Garzweiler, Hambach und Inden", erklärt Dr. Schuler, bevor er die aktuellen Ausgrabungsergebnisse aus dem Gebiet um Borschemich vorstellt. Zum Tag der Archäologie am vorigen Samstag haben sich etliche Besucher in dem Grabungsgebiet eingefunden und hören interessiert zu. "Die hier nachgewiesene 'villa rustica' ist wegen ihrer bedeutenden Größe von vier bis sechs Hektar von herausragender Bedeutung gewesen", ist sich Dr. Schuler sicher.
Das in Borschemich nachgewiesene Landgut bestand aus dem Hauptwohnhaus mit Badetrakt, einem Magazingebäude (horreum), in dem das Getreide aufbewahrt wurde, zwei Tempelanlagen und einer Familiengrabstätte. "Dass der Gutshof einen nicht unbeträchtlichen Wohnkomfort bot, zeigen bemalte Wandputzfragmente, Bruchstücke verschiedener Natursteinplatten, die als Wandvertäfelung gedient hatten und schließlich das Bruchstück einer massiven Säulenbasis aus Kalkstein", weiß Dr. Alfred Schuler. Leider sind nur noch vereinzelte Steinreste vorhanden. "Das fast steinlose Bild, das sich heute darbietet, trügt", sagt der Ausgrabungsleiter und erklärt: "Im 11. Jahrhundert wurden fast sämtliche Bausteine der römischen villa rustica ausgehoben um sie für die romanische Ursprungskirche des damals neu gegründeten Rodungsortes Otzenrath zu verwenden."
Dieser "Steinraub" sei zweifelsfrei nachgewiesen. Ein wichtiges Puzzlestück, um Licht in das Dunkel des 1900 Jahre zurückliegenden Lebens auf dem Landgut zu bringen, ist ein unscheinbarer Ziegelstempel auf mehreren Ziegelbruchstücken. Schuler berichtet: "Ein privater Ziegelfabrikant aus dem unteren Moselraum kennzeichnete im späteren 1. Jahrhundert mit dem Kürzel 'SNS' seine Dachziegel, die bislang ausschließlich aus Xanten und Köln bekannt gewesen sind." Der Archäologe schließt daraus, dass ein wohlhabender Kölner Bürger oder ein höherer Amtsträger in dem späteren Borschemicher Gebiet gelebt haben könnte. Auch die gefundenen Grabbeigaben, etwa ein bronzenes Waschset und eine kostbare Steinschale aus Chalzedon, führen zu der Erkenntnis, dass die in den Borschemicher Grabbauten Bestatteten zu Lebzeiten eine herausgehobene gesellschaftliche Position innehatten, die vermutlich über den bloßen Besitz des Landgutes hinausging. Die Familiengrabstätte mit vier erhaltenen Brandgräbern ist für das Ausgrabungsteam jedoch aus einem völlig anderen Grund ein ganz außergewöhnlicher Fund: die Grabbauten bestanden aus Holz. "Hölzerne Grabbauten dieser Art sind bislang für das römische Rheinland unbekannt", erklärt Dr. Schuler, und ergänzt, dass es sich also um einen neuen Typus der römischen Friedhofsarchitektur handele; eine kleine Sensation also, die der hiesige Tagebau indirekt zutage gefördert hat.