„Mit 200 gegen die Wand“

„Mit 200 gegen die Wand“

Ihr Schmerz wird niemals enden. Auch wenn sie inzwischen nach jahrelanger Trauerarbeit ihr Lächeln wiedergefunden haben. Die Trauergruppe für verwaiste Eltern um Andrea Heck, Dorothee Elias und Sabine Kremers bietet allen Menschen Hilfe und Heimat, deren Kind gestorben ist.

Das Schicksal hat sie so hart getroffen, dass Andrea Heck es mit diesem Vergleich versucht: „Sie rasen mit 200 km/h gegen die Wand.“ Dorothee Elias und Sabine Kremers nicken. Alle drei Mütter haben ihr heranwachsendes Kind durch Unfälle verloren. Sie engagierten sich danach in einer Trauergruppe, die ihnen geholfen hat, darüber hinwegzukommen. Jetzt wollen sie andere unterstützen, die mit einem solchen Verlust nicht fertig werden.

Andrea Heck leitet die die Gruppe für verwaiste Eltern: „Das größte Problem? Das Zurückziehen. Man wird aus der Bahn geworfen, man ist entkräftet und bewegungslos.“ Diese Aussichtslosigkeit wird gespiegelt durch die Hilflosigkeit der Freunde und Bekannten. „Alle haben Angst vor fremden Tränen.“ Dorothee Elias weiß, wie heikel das ist: „Du möchtest gefragt werden: Wie geht es dir? Und würdest darauf antworten: Wie soll’s mir gehen? Beschissen.“

Manchmal würde vielleicht auch dieser Satz ein bisschen helfen: „Ich denke viel an euer Kind.“ Die Schwierigkeit trotz aller Aufgeklärtheit und Modernität: Der Tod ist unfassbar. „Keiner setzt sich gern mit dem Sensenmann und der eigenen Endlichkeit auseinander.“

Für verwaiste Eltern kann es dagegen nicht schlimmer kommen. Sabine Kremers sagt: „Viele denken: Was soll ich hier noch? Ich werde nie wieder lachen. Warum kann ich nicht einfach einschlafen?“ Später finden sich die Eltern in einer Achterbahn der Gefühle wieder. „Man vergisst viel, eine Art Trauer-Demenz, dann kommt die Wut, die Aggressivität, man steht sich selbst verständnislos gegenüber“, versucht Andrea Heck in Worte zu fassen, was kaum zu vermitteln ist.

„Und dann die Schuldgefühle.“ Dorothee Elias: „Was habe ich falsch gemacht? Was hätte anders laufen müssen? Der eigene Kreisel-Kopf bringt keine Antwort zustande.“ Wenn die erste Zeit vergangen ist, drängt sich die nächste Frage auf: „Werde ich in drei oder fünf Jahren noch genauso traurig sein wie heute?“

Die drei Frauen wissen genau, wovon sie reden. Andrea Hecks Sohn starb mit 24 bei einem Verkehrsunfall, genauso wie Dorothee Elias Tochter; Sabine Kremer blickt zurück: „Mein Sohn ist mit 17 Jahren 2002 tödlich verunglückt.“

Alle drei fing die Trauergruppe auf. „Die Gruppe hat ein Herz, das so groß ist, dass die Weltkugel hineinpasst.“ Es wird geweint, natürlich, „aber wir sind keine Heulgruppe“, beeilt sich Dorothee Elias zu korrigieren.

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Wie läuft so ein Abend ab? „Wir haben hier diese Modellierpuppen“, Andrea Heck hält sie hoch, „diese sollen die Teilnehmer so verdrehen, wie sie sich zurzeit fühlen.“ Also: gebeugt oder aufrecht, die Fußstellung offen oder geschlossen, die Arme verschränkt oder locker. Das hilft nicht nur den anderen, sondern auch sich selbst einzuschätzen, was gerade in einem vorgeht.

„Außerdem legen wir manchmal Bilder auf den Tisch, zum Beispiel von einem Ort am Meer und jeder sagt, was ihm dazu einfällt.“ Erinnerungen kommen hoch, die Teilnehmer fangen an zu reden. Ergänzend kann die Gruppe ein Brettspiel nutzen, das Ulrike Gresse entwickelt hat, die Leiterin der Trauerpastoral Mönchengladbach. Im Spiel muss man auf bestimmten Feldern zu Ereigniskarten greifen, die einem etwa abverlangen zu erzählen, was man bei der Beerdigung empfunden hat. „Und im November gestalten wir immer eine Kerze für das Kind.“

Das gemeinsame Tun heilt. Riesensummen werden für diese Arbeit nicht gebraucht, aber kleine Beiträge werden von den Teilnehmern erwartet, ein wenig Geld kommt von der Gemeinschaftsförderung der gesetzlichen Krankenkassen. Ab und zu treffen sich die Mitglieder auch zum gemeinsamen Restaurantbesuch, „dort wird dann geflachst und geneckt, der trockene Humor würde manchen Außenstehenden irritieren, aber er hilft.“ Die Neuen sollen schließlich erkennen, dass es etwas bringt, in dieser Gemeinschaft zu sein.

Was die Trauergruppe alles in allem soll? Befähigen, ins Leben zurückzukehren. In zwei, drei Jahren kann man das schaffen. Eine Dauer-Heimat können und wollen Andrea Heck, Dorothee Elias und Sabine Kremers nicht geben. Das Erstgespräch kann man mit Andrea Heck vereinbaren.

(StadtSpiegel)